Rede von Mag. Brigitte Entner in Neuhaus/Suha: Enthüllung der Gedenktafel für die Ausgesiedelten des 2. Weltkrieges

Gedenktafel für die Ausgesiedelten des Zweiten Weltkrieges. Rede der Historikerin Mag. Brigitte Entner in Neuhaus/Suha.

Rede Neuhaus-Suha, 26.10.2017
Einweihung der Skulptur von Nežika Novak

Spoštovane dame, spoštovani gospodje, verehrte Festgäste!

Zunächst möchte ich mich herzlich bedanken, dass ich bei dieser für mich persönlich sowohl als Historikerin als auch als Staatsbürgerin sehr wichtigen Veranstaltung sprechen darf.

75 Jahre nach der zwangsweisen Aussiedlung im April 1942 und 72 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird hier in Neuhaus/Suha erstmals durch eine Gemeinde in ihrer Eigenschaft als kleinster basisdemokratischer Vertretungsbehörde der Republik Österreich, die auch in direktem Kontakt mit ihrer Bevölkerung steht, ein Denkmal zur Erinnerung an die zwangsweise Aussiedlung errichtet. Sie mögen vielleicht einwenden, es gibt ja bereits seit 1995 das Denkmal in der Gemeinde Radsberg/Radiše oder aber seit 2012 jenes von Valentin Oman gestaltete Denkmal beim Bahnhof Klagenfurt/Ebenthal, die explizit an die zwangsweise Aussiedlung erinnern. Doch diese beiden Erinnerungszeichen wurden auf Initiative von den Betroffenen selbst bzw. deren Nachkommen errichtet, nicht aber auf Initiative der Republik Österreich bzw. des Landes Kärnten. Hier jedoch hat die Gemeindevertretung selbst beschlossen, ihren vor 75 Jahren vertriebenen Gemeindebürgern ein eigenes Denkmal zu errichten.

Denkmäler als öffentliche Erinnerungszeichen erlauben uns Betrachtenden zwei Deutungen. Zum einen geben sie Auskunft über bestimmte Ereignisse in der Vergangenheit. Zum anderen aber zeigen sie uns auch, welche Einstellung die vor Ort lebenden Menschen zu ihrer Vergangenheit haben, welche historischen Bezugspunkte sie für ihre Identität heranziehen und welches Bild von der Vergangenheit sie an ihre Nachkommen weitergeben wollen.

Solche Zeichen, die an die Verfolgungsgeschichte unserer slowenisch sprechenden Kärntner Bevölkerung erinnern, gibt es nur wenige. Unmittelbar nach dem Kriegsende bis zu den Wahlen 1949 wurden österreichweit zahlreiche Erinnerungszeichen an verfolgte und widerständige Mitbürger und Mitbürgerinnen errichtet. Auch von der provisorischen Landesregierung in Kärnten wurde das Leid, das die Kärntner Slowenen erfahren mussten, aber auch ihr Anteil bei der Bekämpfung des Nationalsozialismus anerkannt und versprochen, dass der Landesausschuss alles in seiner Macht Stehende tun würde, um „den österreichischen Staatsbürgern slovenischer Sprache volle Gerechtigkeit in einem demokratischen Österreich widerfahren zu lassen.“ Doch 1949 war die Grenzfrage geklärt und es durften erstmals auch ehemalige Nationalsozialisten bei den Nationalratswahlen zu den Urnen schreiten. Erinnert wurde in Österreich nun nicht mehr Verfolgung und Widerstand sondern die gefallenen und vermissten Wehrmachtssoldaten sowie die Bombenopfer des Zweiten Weltkrieges. Der bewaffnete Widerstand der slowenischen Bevölkerung Kärntens und seine Träger wurden wieder in der Öffentlichkeit diffamiert und kriminalisiert. Ihre Forderungen nach Schutz und Anerkennung ihrer Sprache und Kultur, durch internationale Verträge garantiert, als maßlos bezeichnet. Die Verfolgten selbst wurden gar als bevorzugte Gruppe dargestellt.

1953 wurde schließlich jenes Denkmal gesprengt, das 1947 am Friedhof von St. Ruprecht bei Völkermarkt/Šentrupert pri Velikovcu errichtet an die auf der Saualpe/Svinška planina gefallenen Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen erinnerte. Erinnerungszeichen an NS-Verfolgung und Widerstand der slowenisch sprechenden Kärntner Bevölkerung machten sie sichtbar und erzählten eine andere Geschichte als das deutschnationale Narrativ, das von einer konstanten Bedrohung aus dem Süden sprach und einer mehrmals versuchten Landnahme, die sich schließlich in der Aufstellung der im Artikel 7 geforderten zweisprachigen Ortstafeln manifestieren würde. Bis 2011 wurde die Umsetzung dieser Verpflichtung der Republik hinausgezögert, nicht nur von deutschnationalen Kärntner Kräften.

 

Woran erinnern wir uns heute? Was möchte uns das von Nežika Novak gestaltete Erinnerungszeichen erzählen bzw. wofür steht es?

 

Zwischen dem 14. und 15. April 1942 wurden 227 Kärntner slowenische Familien von ihren Höfen abtransportiert. 1.075 Personen wurden in einem Behelfslager in der Klagenfurter Ebenthalerstraße vorübergehend interniert. Unter ihnen waren Wohlhabende und Besitzlose, Funktionäre der slowenischen Verbände und Vereine und solche, die sich nie irgendwie exponiert hatten. Nach erfolgreichen Interventionen wurden schließlich 917 Personen, die Hälfte davon Kinder und Jugendliche, in die Lager Frauenaurach, Hesselberg, Hagenbüchach, Schwarzenberg und Rehnitz verbracht. Während das nahe Stettin gelegene Rehnitz im heutigen Polen lag, befanden sich die anderen im Großraum Nürnberg. In den Lagern wurde den Kindern und Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung untersagt, alle Arbeitsfähigen über 13 Jahren zu Arbeitsleistungen verpflichtet, die Post zensuriert und das Slowenische untersagt. Mehr als 54 Personen kehrten nicht mehr wieder.

In den beiden Gemeinden Schwabegg/Žvabek und Leifling/Libeliče klopften Angehörige des Reservepolizeibataillon 171 an sieben Haustüren und zwangen die Bewohner innerhalb kürzester Zeit, ihre notwendigen Habseligkeiten zusammen zu packen und den Haustorschlüssel zu übergeben. Es waren dies die Familien Franc Kosmač und Hedi Ferk vlg. Liješnik vom Kogelnikberg/Kogelska Gora,

Jurij Vrhnjhak vlg. Arnev aus Motschula/Močula, Peter Glinik vlg. Gornik aus Graditschach/Gradiče, Anton Jevšnik vlg. Škof aus Heiligenstadt/Sveto Mesto und die Geschwister Jernej Marija vlg. Supanc aus Oberdorf/Gornja vas und Filip vlg. Tomej aus Unterdorf/Dolnja vas sowie die Familie des Gregor Liendl. Die siebenköpfige Familie Liendl wurde nach Interventionen aus dem Lager in der Ebenthalerstraße entlassen und durfte wieder auf ihre Liegenschaft zurückkehren. Während die Familien aus Leifling/Libeliče zunächst in das Lager Frauenaurach überstellt wurden und später nach Hesselberg bzw. Eichstätt überstellt wurden, kamen die Familien aus Schwabegg/Žvabek zunächst nach Rehnitz und nach der Auflösung des Lagers im August 1942 in das Lager Rastatt. Hier wurden die Geschwister Marija und Filip Jernej im August 1943 entlassen. Sie durften, anders als andere Betroffene wieder in ihre Heimat zurückkehren, denn auf ihren Höfen war ihr Bruder Franc als Bewirtschafter angesetzt worden. Vorzeitig entlassen wurde auch Hedl Ferk mit ihren beiden Kindern. Sie wurden bereits im Juli 1942 entlassen mussten aber den Vater bzw. Lebenspartner Franz Kosmač in Frauenaurach zurücklassen. Hedi Ferk gebar ihr drittes Kind nach der Entlassung im Oktober 1942. In ihr Wohnhaus durfte sie nicht zurückkehren.

Drei der zwangsweise Ausgesiedelten kehrten nicht mehr wieder. Am 22. Juni 1943 verstarb die 34-jährige Ana Plošnik, die gemeinsam mit der Familie Jevšnik, bei der sie arbeitete, ausgesiedelt wurde. Ihre kleine Tochter musste in Kärnten bleiben. Ana Plošnik war zu Arbeitsleistungen in einer Fabrik in Karlsruhe verpflichtet worden. Dort erkrankte sie an Gelbsucht, wurde im Lager Rastatt nur mäßig behandelt, bis sie endlich in das örtliche Krankenhaus überstellt wurde, wo sie aber wenige Tage später verstarb.

Jurij Vrhnjak wurde mit seiner Frau Elizabeta und ihren sechs Kindern in das Lager Frauenaurach verbracht. Als Kranführer musste er im Rüstungswerk MAN in Nürnberg arbeiten und durfte nur wochenends zu seiner Familie. Im März 1944 erlitt er einen schweren Arbeitsunfall, an dessen Folgen er am 5. Mai 1944 im Alter von 40 Jahren im Krankenhaus Nürnberg verstarb. Sein Stiefsohn Johan Klančnik wurde aus dem Lager zur Wehrmacht eingezogen und geriet als deutscher Wehrmachtssoldat in Kriegsgefangenschaft. Nach ihrer Heimkehr hatten Elizabet Vrhnjak und ihre Kinder kein Zuhause mehr.

Marija Glinik wurde mit der Familie ihres Bruders Peter in das Lager Frauenaurach verbracht. Von dort wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Ansbach überstellt. Nach dem Kriegsende durfte ihr Bruder Peter, der Besitzer des vlg. Gornik, sie nicht mit in die Heimat mitnehmen. Die Behörden erklärten dies mit der Tatsache, dass Marija Glinik jugoslawische Staatsbürgerin sei, obwohl sie 1904 in Graditschach/Gradiče geboren wurde. Sie verstarb wenig später in Ansbach.

Ergänzung zum Vortrag:

Demnach wurden aus den beiden Gemeinden (heute Neuhaus/Suha) 37 Personen abgeholt, sieben (Fam. Gregor Liendl) kamen wenige Tage später wieder zurück nach Leifling/Libeliče. Marija und Filip Jernej, Fam. Jevšnik u Ana Plošnik waren sechs Personen, Franc Kosmač und Hedi Ferk sowie zwei Kinder, die Familie des Jurij Vrhnjak und Johan Klančnik waren zu acht, Fam Glinik waren zehn Personen. 

An sie alle erinnert die Skulptur von Nežika Novak, die heute eingesegnet wird. Um dieses Erinnerungszeichen auch lebendig zu halten bedarf es jedoch mehr, als den heutigen Festakt. Es muss mit den damit verbundenen Geschichten in einem konstanten Prozess lebendig gehalten werden. Wie hält man ein Denkmal lebendig? Durch Gespräche und Veranstaltungen. Ich wünsche mir, dass diese Skulptur die Menschen animiert, die Geschichten, die damit verbunden sind an die nächsten Generationen weiterzugeben. Es liegt an uns, dass wir uns jeder für sich, unserer Verantwortung in der Geschichte stellen, damit wir nicht mehr, wie einst die Widerstandsaktivistin Lonki Schellander sagen müssen:

„To je že čudno, da po vojni sploh nismo več govorili o tem. In nihče si ni upal. Ne vem, koga smo se bali. Še sama ne vem več. Do danes.“

(Lonki Schellander geb. in Oberdörfl/Zgornja vesca, Pfarre St. Egyden/Šentilj, 1919-2010)

„Das ist das Komische, dass wir dann nach dem Krieg über das überhaupt nicht mehr geredet haben. Und niemand hat sich getraut, wissen Sie. Ich weiß nicht, vor wem wir Angst gehabt haben. Ich weiß es selber nicht mehr. Bis heute.“

Feierliche Enthüllung der Gedenktafel für die Ausgesiedelten des Zweiten Weltkrieges in der Aufbahrungshalle Neuhaus